Was hat sich in den letzten Monaten dermaßen geändert, dass wir wöchentlich neue Hiobsbotschaften zum Fachkräfte Mangel im generellen und IT-Fachkräfte Mangel im Speziellen hören?
Nicht erst seit dem Jahr 2022 haben wir einen Kandidatenmarkt. Nicht nur in Österreich und Deutschland, sondern europaweit und auch darüber hinaus. Das bedeutet: Es gibt viel zu viele freie Stellen am Markt und zu wenige qualifizierte Bewerber.
So extrem wie jetzt gerade war der Bedarf an Personal seitens der Unternehmen selten. Nicht nur, dass jetzt die Babyboomer Jahrgänge in Pension gehen, so beginnen spätestens jetzt, in einer Atempause in der Corona Pandemie, auch die Nachzügler die Themen "digitalisierte Prozessoptimierung" aufzugreifen.
Fast jedes Unternehmen sucht MitarbeiterInnen. Viele davon für Digitalisierungsprojekte. Spezialisten (Expert Consultants) im Softwarebereich - von Software-Architekten, über Datenbankspezialisten, Frontend, Backend, Fullstack, Mobile, UX/UI Experten, Scrum Master und Product Owner. Paradoxerweise gibt es aber aktuell gar nicht so viele wechselwillige Talente, wie zu besetzende Stellen.
In Deutschland ist die Anzahl an Software-Entwicklern von 2016 auf 2019, um 27% von 709.000 auf 901.000 gestiegen [1]. Obwohl die Zahl vermutlich weiter gestiegen ist, konnten 2021 rund 96.000 [2] Stellen in Deutschland nicht besetzt werden.
Der Angriffskrieg von Russland auf die Ukraine hat den Markt nochmals massiv getroffen. Obwohl in den letzten Jahren bereits viele Firmen mit Outsourcing Richtung Süd-Ost begonnen haben, bleiben sie von den Auswirkungen nicht verschont.
Softwareentwicklungsleistungen aus Russland bzw. Weißrussland sind boykottiert, ukrainische Männer im wehrfähigen Alter werden zur Armee eingezogen und damit kommt es, zusätzlich zur ohnehin kritischen Situation am Fachkräftemarkt, zur weiteren Verknappung am Arbeitsmarkt.
Bis dato gibt es keine genauen Zahlen, aber schätzungsweise sind rund 50.000 – 100.000 Softwareentwickler in den drei genannten Ländern von den Maßnahmen direkt oder indirekt betroffen. Vielen, speziell russischen Entwicklern, ist das Hemd aber näher als der Rock und so emigrieren sie nach Georgien, die Türkei, oder Serbien, um von dort aus weiter für ihre ehemaligen Firmen, oder neue Arbeitgeber zu arbeiten.
Alle genannten Punkte treiben die Preise. Weder qualifizierter Zuzug von Spezialisten noch Ausbildungen in diesem Bereich können kurzfristig dieses Gap schließen, oder zu einer Preisnormalisierung beitragen.
Aber welche Alternativen gibt es? Reichen freiwillige Fringe Benefits wie Essensgutscheine, Obstkörbe, Fitnesscenter, oder eine zusätzliche Pensionsvorsorge? Muss man Mitarbeiter teuer über Headhunter von der Konkurrenz abwerben? Braucht es quartalsweise Bonuszahlungen, höhere Gehälter oder muss man jeden Mitarbeiter selbst ausbilden? Sind Offshoring oder Nearshoring die Lösung des Problems?
Die Antworten auf diese Fragen hängen stark von der Unternehmensstrategie, den budgetären Vorgaben und den Trade Offs ab. In verschiedenen Gesprächen wurde oft ein Mix der verschiedenen Themen genannt.
Die umworbenen Arbeitnehmer, die oft zwischen mehreren Angeboten wählen können, legen großen Wert auf die Coolness der Firma und des Projektes, an dem sie arbeiten sollen. Wird ältere Technologie verwendet, oder fehlen dem Projekt erfahrene Entwickler, von denen man etwas lernen kann, vermindert dies die Wahrscheinlichkeit einer raschen Besetzung bereits ungemein. Darüber hinaus sieht man oft ein Lebenslauf „Pimping“, d.h. wenn man 12 – 18 Monate an einem Projekt gearbeitet hat, "Career Kicks" oder "Career Boosts" für die Arbeitnehmer.
Zudem locken Recruiter, oder Head Hunter, mit der nächsten Herausforderung, die zwischen 20 – 40% höher dotiert ist: Homeoffice und eine relativ freie Zeiteinteilung beim bestehenden Arbeitgeber punkten dann nicht, weil diese und auch andere Benefits auch bei den neuen Arbeitgebern geboten sind.
Die Pandemie und wiederholte Lockdowns haben gezeigt, dass gerade Software-Entwicklung durch die IT-Affinität der Mitarbeiter, auch remote, sehr gut funktioniert. Dabei spielt es kaum eine Rolle, ob ein Mitarbeiter ums Eck sitzt, oder hunderte Kilometer entfernt - vielleicht sogar im Ausland - seine Arbeit verrichtet. Agile Entwicklungsmethoden, auch Scrum genannt, mit daily standups und Entwicklungs-Sprints schweißen Teams enger zusammen und verhindern Überraschungen.
Welche Learnings können wir also mitnehmen?
[1] https://www.daxx.com/de/blog/entwicklungstrends/anzahl-an-softwareentwicklern-deutschland-weltweit-usa#:~:text=In%202016%20gab%20es%20709.033,diese%20Zahl%20auf%20901.000%20Softwareentwickler.
[2] https://www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/IT-Fachkraefteluecke-wird-groesser